
Wie Freundlichkeit und Mitgefühl die Gesundheit des Nervensystems fördern
Mitgefühl und Freundlichkeit werden seit jeher in verschiedenen Kulturen, Religionen und spirituellen Traditionen als essenzielle Kräfte für Heilung und Harmonie geschätzt. In einer Welt, in der Leid, Konflikte und Entfremdung oft den Alltag prägen, kann eine einfache Geste des Mitgefühls – sei es ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder eine fürsorgliche Präsenz – die Energie eines Moments, manchmal sogar eines Lebens, grundlegend verändern.
Oft als moralische oder spirituelle Tugend betrachtet, zeigt die moderne Forschung, dass Mitgefühl auch ein mächtiger Verbündeter unserer Biologie ist. Mitgefühl – sowohl für andere als auch für uns selbst – zu kultivieren, kann das emotionale Wohlbefinden fördern, das Nervensystem regulieren und unser Gefühl von Verbundenheit und Resilienz vertiefen.
Lassen Sie uns gemeinsam erkunden, wie Mitgefühl nicht nur das Herz, sondern auch Körper und Geist nährt.
Was ist Mitgefühl? Eine klare Definition
Bevor wir uns der Wissenschaft widmen, hilft es, den Begriff des Mitgefühls genau zu verstehen. Mitgefühl ist mehr als nur Fürsorge – es ist die Fähigkeit, das Leid eines anderen zu erkennen und den Wunsch zu verspüren, es zu lindern. Es vereint emotionale Resonanz, kognitives Verstehen und die Bereitschaft, freundlich und präsent zu handeln.
„Mitgefühl ist der Wunsch, andere vom Leid zu befreien.“ — Dalai Lama
Echtes Mitgefühl lädt uns ein, offen, verletzlich und aufmerksam zu sein. Es ist eine stille Stärke, die die Qualität unserer Präsenz und Beziehungen vertieft.
Die Vorteile von Mitgefühl und Freundlichkeit für das Nervensystem
Mitgefühl und Freundlichkeit bieten eine breite Palette physiologischer und psychologischer Vorteile. Wenn wir mitfühlend handeln – oder auch nur darüber nachdenken – bewirken wir Veränderungen im Nervensystem, die Gleichgewicht und Erholung fördern.
1. Stressregulation
Mitgefühl senkt nachweislich den Cortisolspiegel, das primäre Stresshormon des Körpers. Dies unterstützt den Übergang vom chronischen Stresszustand in einen regenerativen Ruhezustand [1, 6].
2. Parasympathische Aktivierung und Vagus-Tonus
Mitfühlende Handlungen fördern die parasympathische Aktivität, insbesondere durch eine Verbesserung des Vagus-Tonus. Dieser ist entscheidend für Herzfrequenzvariabilität, Verdauung und ein Gefühl von Sicherheit [1, 2, 6].
3. Neuroplastizität und Gehirngesundheit
Mitgefühlstraining stärkt die Plastizität des Gehirns, vor allem in Bereichen, die mit Empathie und Emotionsregulation verbunden sind, wie der mediale präfrontale Cortex [2, 7].
4. Biochemie der Verbindung
Auf biochemischer Ebene fördert Mitgefühl die Ausschüttung von Oxytocin, Dopamin und Serotonin – Neurotransmitter, die emotionale Stabilität und zwischenmenschliche Bindung unterstützen [3, 6].
5. Ko-Regulation und Resilienz
Mitgefühl stärkt unsere Fähigkeit zur Ko-Regulation mit anderen Menschen sowie zur Selbstregulation durch Selbstmitgefühl. Studien belegen eine Reduktion von Selbstkritik und eine Zunahme emotionaler Widerstandsfähigkeit [1, 4, 8].
Selbstmitgefühl: Freundlichkeit nach innen richten
Selbstmitgefühl bedeutet, uns selbst mit der gleichen Fürsorge zu begegnen, wie wir sie einem geliebten Menschen schenken würden. Laut Dr. Kristin Neff basiert Selbstmitgefühl auf drei Grundpfeilern:
- Selbstfreundlichkeit – Sanftheit statt Härte im Umgang mit uns selbst
- Gemeinsame Menschlichkeit – Das Bewusstsein, dass Leid und Fehler menschlich sind
- Achtsamkeit – Erfahrungen mit Gleichmut und Offenheit begegnen
Studien zeigen, dass Selbstmitgefühl Angst, Depressionen und Scham verringert – häufige Ursachen für eine gestörte Regulation des Nervensystems [4, 5, 9]. Selbstfürsorge aktiviert dabei die gleichen beruhigenden parasympathischen Mechanismen wie Mitgefühl von außen [6].
Mitgefühlsfokussierte Therapie: Heilung durch Verbindung
Die von Dr. Paul Gilbert entwickelte Compassion-Focused Therapy (CFT) hilft besonders Menschen mit starkem inneren Kritiker, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Sie kombiniert Erkenntnisse aus Evolutionspsychologie, Achtsamkeit und Neurowissenschaften.
Forschung zeigt, dass CFT nicht nur emotionale Resilienz fördert, sondern auch biologische Marker wie den Vagus-Tonus verbessert und Stress reduziert [1, 7, 9].
Diese Therapieform erinnert uns daran, dass Mitgefühl nicht nur spirituell nährt, sondern auch körperlich heilt.
Spirituelle Verankerung: Zitate über Mitgefühl
Mitgefühl ist ein verbindendes Element aller großen spirituellen Wege. Es erinnert uns an unsere Menschlichkeit und daran, dass herzzentrierte Freundlichkeit innere und äußere Heilung möglich macht.
Christentum: „Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“ – Epheser 4,32
Buddhismus: „Sende grenzenlose Liebe aus in die ganze Welt ... wie eine Mutter, die ihr einziges Kind mit ihrem Leben beschützt.“ – Der Buddha, Metta Sutta
Rumi (Sufismus): „Erhebe deine Worte, nicht deine Stimme. Es ist der Regen, der Blumen wachsen lässt, nicht der Donner.“
Leo Buscaglia (moderne Stimme): „Zu oft unterschätzen wir die Kraft einer Berührung, eines Lächelns, eines freundlichen Wortes ... all das kann ein Leben verändern.“
Fazit: Mitgefühl als tägliche Praxis
Die Schönheit von Mitgefühl liegt in seiner Einfachheit. Ob wir liebevoll mit uns selbst umgehen oder für andere da sind – jeder Akt von Mitgefühl ist heilsam für Körper und Seele.
Regelmäßig gelebtes Mitgefühl stärkt emotionale Stabilität, fördert Verbundenheit und langfristige Resilienz. In einer oft hektischen und fragmentierten Welt kann der bewusste Weg des Mitgefühls – Moment für Moment – eine Quelle tiefer Ganzheit sein.
„Keine freundliche Tat, so klein sie auch sein mag, ist je vergebens.“ – Äsop
Quellen
1. Förster, K., & Kanske, P. (2021). Exploiting the plasticity of compassion to improve psychotherapy. Current Opinion in Behavioral Sciences, 39, 64–71. https://doi.org/10.1016/j.cobeha.2021.01.010
2. Klimecki, O. M., Leiberg, S., Ricard, M., & Singer, T. (2014). Differential pattern of functional brain plasticity after compassion and empathy training. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 9(6), 873–879. https://doi.org/10.1093/scan/nst060
3. Release Hypnosis. (n.d.). The Neuroscience of Kindness. https://releasehypnosis.com.au/neuroscience-of-kindness/
4. Charter for Compassion. (n.d.). Science of Compassion. https://charterforcompassion.org/science-research/compassion-science.html
5. Singer, T., & Engert, V. (2019). It matters what you practice: Differential training effects on subjective experience, behavior, brain, and body in the ReSource Project. Current Opinion in Psychology, 28, 151–158. https://doi.org/10.1016/j.copsyc.2018.12.005
6. Matos, M., Duarte, C., & Pinto-Gouveia, J. (2017). The Origins of Fears of Compassion: Shame and Lack of Safeness Memories, Fears of Compassion and Psychopathology. Journal of Psychology, 151(8), 804–819. https://doi.org/10.1080/00223980.2017.1393380
7. Lutz, A., Brefczynski-Lewis, J., Johnstone, T., & Davidson, R. J. (2008). Regulation of the neural circuitry of emotion by compassion meditation: Effects of meditative expertise. PLoS ONE, 3(3), e1897. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0001897
8. Gilbert, P. (2014). The Compassionate Mind Approach to Recovering from Trauma: Using Compassion Focused Therapy to Calm the Mind, Strengthen the Body, and Heal the Heart. Robinson.
9. Goldin, P. R., Ziv, M., Jazaieri, H., Hahn, K., & Gross, J. J. (2013). MBSR vs. Aerobic Exercise in Social Anxiety: fMRI of Emotion Regulation of Negative Self-Beliefs. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 8(1), 65–72. https://doi.org/10.1093/scan/nss054